Der ewige Junior

Wenn die Seniorgeneration einfach nicht gehen will

Unternehmer*innen kommen irgendwann in ein Alter, in dem sie sich mit der Nachfolge beschäftigen und einen geregelten Nachfolgeprozess in die Wege leiten sollten. Was aber, wenn sie einfach beschließen, für immer in der Firma zu bleiben?

Nachfolgeprozess? Dass sie irgendwann mal ihren Posten abgegeben müsste, war meiner Oma schon klar. Allerdings wollte sie partout nicht in Rente gehen. Sie konnte sich nicht vom Familienbetrieb, ihrem Alltag und den Mitarbeiter*innen lösen. Sie entschied, einfach zu bleiben und kam weiter sechs Tage die Woche in den Betrieb. Und das mit beeindruckender Vehemenz. Gesprächsversuche über den Ruhestand beendete sie mit dem Satz: »Nach mir die Sintflut!«

Wir haben versucht, meine Oma für ein Leben abseits der Firma zu begeistern: Reisen, Freunde besuchen, Sport machen. Keiner dieser Vorschläge lockte meine Oma hinter dem Ofen hervor. Und selbst, als sie an Demenz erkrankte, wollte sie die Firma nicht verlassen. Darum sprang auch die erste für die Nachfolge gedachte Person ziemlich schnell wieder ab – und ich wurde über Nacht Nachfolgerin.

Vom Lebenswerk entwurzelt

Ich unterschätzte damals, in welcher emotionalen Ausnahmesituation meine Oma sich befunden haben musste: Die Trennung vom Lebenswerk fällt vielen Unternehmer:innen emotional extrem schwer. In der PWC-Studie ›Nach der Übergabe‹ antworten 75 Prozent der Seniorgeneration auf die Frage, wie der Zeit nach der Übergabe entgegensähen: »Ich werde vermutlich immer etwas arbeiten, weil ich mir ein Leben ohne Arbeit nicht vortellen kann.« Immerhin noch 37 Prozent geben offen zu: »Es wird schwierig, mich komplett von meinem Unternehmen zu trennen«. Laut der Studie seine fast ein Drittel der Befragten nach der Übergabe 70 Jahre und älter – der älteste gar 84 Jahre alt.

Wir Nachfolger und Nachfolgerinnen sollten diesen emotionalen Kraftakt wertschätzend begleiten. Wenn der Senior entscheidet, nicht zu gehen, sind wir realtiv machtlos. Niemand kann der Seniorgeneration die Aufgabe der Neuorientierung abnehmen. Sie müssen selbst einen neuen Lebensinhalt finden, der sie begeistert und die Lücke schließt, die die fehlende Arbeit im Leben hinterlässt. Es gibt nicht viel, was wir Nachfolger*innen tun können, wenn Senior*innen nicht gehen: Wir können immer wieder das Gespräch suchen oder einfach an unserem Senior vorbei rganisieren (Achtung: Konflikte vorprogrammiert). Wenn all das nicht funktioniert, bleibt nur der Ausstieg aus dem Nachfolgeprozess.

Der ewige Junior

In Gesprächen mit Nachfolgekandidaten und -kandidatinnen habe ich schon einige Geschichten gehört. Beispielsweise die vom ›ewigen Junior‹, der mit knapp 60 Jahren immer noch nicht die Geschäftsführung seines 85-jährigen Vaters übernehmen konnte, weil für diesen klar war: Ich verlasse die Firma nur »mit den Füßen voraus«. Prinz Charles kennt diese Situation wohl nur allzu gut. Im Unternehmen haben es ›ewige Junioren‹ zunehmend schwerer, von den Mitarbeitenden ernst genommen zu werden. Zudem wäre hier zeitnah der nächste Nachfolgeprozess nötig.

Natürlich gibt es auch Geschichten, in denen die Nachfolge perfekt gelingt. Gerade erst wurde der vorbildliche Übergabeprozess der bei Ravensburger AG in einem Handelsblattbeitrag geehrt. Auch kenne ich eine positive Geschichte, in der der Senior nur das Unternehmen nicht verlassen wollte – aber die Geschäftsführung an die Nachfolge abgegeben hat. Der Senior wollte wieder zurück an die Werkbank, zurück zu seinen Wurzeln – und in seinem Lebensherbst noch ein bisschen in der Produktion mitarbeiten. So kann es natürlich auch funktionieren. Aber auch das ist keine Lösung für die Ewigkeit.

Wenn Demenz im Spiel ist

Meine Oma war an Demenz erkrankt, kam selbst dann noch in ihr Büro, als sie längst nicht mehr Geschäftsführerin war – und spielte weiterhin Chefin. Das kann aus unternehmerischer Sicht sehr gefährlich sein, da es unter den Begriff der ›Anscheinsvollmacht‹ fällt: Wenn sich eine Person nach außen hin wie ein Geschäftsführer aufführt und niemand dieses Verhalten unterbindet, darf der Rechtsverkehr annehmen, dass diese Person tatsächlich die Geschäftsführung inne hat. Wir mussten das Verhalten meiner Oma also irgendwann unterbinden.

Als Geschäftsführerin muss ich Entscheidungen treffen, die gut für das Unternehmen sind. Auch, wenn sie mir persönlich schwerfallen. Als Unternehmerin musste ich irgendwann sagen: Wir sind ein Lebensmittelgroßhandel– kein Altenheim. Anfangs versuchten wir, meiner Oma im Betrieb einfache Aufgaben zu geben, bei denen sie sich selbst nicht gefährdete und keinen operativen Schaden anrichten konnte. Allerdings ist ein Lebensmittelgroßhandel einfach nicht der richtige Ort, für eine älter werdende, zusehends demente Person. Nach einigen Vorfällen stand fest: Wir konnten meine Oma nicht weiter im Betrieb betreuen. Das stellte mich als Nachfolgerin vor die Aufgabe, meine Oma gegen ihren Willen aus der Firma zu begleiten.

Johanna Schirmer übernahm mit 21 Jahren die Nachfolge des Familienunternehmens und den Vorstand der Familien­stiftung. Sie lernte im Schleudergang was es heißt, ein Un­ternehmen zu führen. Davon erzählt sie in ihren Vorträgen.

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Mehr Offenheit und Kommunikation

Für mich war das alles andere als einfach. Als frischgebackene 21-jährige Geschäftsführerin hatte ich ohnehin mit mehreren Brandherden gleichzeitig zu kämpfen. Ich musste eine Lösung finden, um meine Oma vor sich selbst zu schützen, die Firma zu schützen und die Mitarbeitenden zu entlasten. Ich war irgendwie verantwortlich, auch wenn mir die Hände weitestgehend gebunden waren.

Auch ohne so ein dramatisches Krankheitsbild ist es für die Nachfolgeseite nicht einfach, wenn die Vorgänger nicht gehen wollen. Ich kann aus Erfahrung und aus Gesprächen mit anderen Nachfolger*innen nur sagen: Liebe Familienunternehmer, beschäftigen Sie sich frühzeitig mit einem ›Leben danach‹. Gehen Sie offen mit Ihren Zweifeln und Ängsten um und kommunizieren Sie diese Ihren Nachfolgekandidat:innen. Liebe Nachfolger*innen, habt Verständnis für die Vorgänger. Sie stecken im Zuge der Neuorientierung in einer verdammt schweren Phase. Legen Sie sich gegenseitig keine Steine in den Weg.

Was ist deine Erfahrung?

Bei wem wollte die Seniorgeneration auch nicht abtreten? Wie seid ihr damit umgegangen? Habt ihr eine Lösung gefunden – oder habt ihr gesagt: »dann gehe ich halt woanders meinen Weg«? Ich freue mich auf eure Geschichten, Anmerkungen und Reaktionen, per E-Mail oder als Nachricht auf LinkedIn!